Wir sind im Herzen Asien angekommen,
eine Viertel Runde um den Globus von zu Hause entfernt.
Es wird bald endgueltig Winter. Noch sind Schnee und Eis
freundschaftlich gemeinte Ausnahmen, aber je naeher Weihnachten rueckt, desto
seltener scheint die Sonne.
Der erste Schnee dieser Saison fiel bereits in Quchan, im Iran.
Zum Glueck hatte ich mir gerade einen Tag vorher meine Winterschuhe und Emma
sich eine dicke Strickjacke gekauft. Der Plan, zu zelten, loeste sich schnell
in kalte Luft auf und wir waren gluecklich, als wir von Javad auf
der Strasse angesprochen wurden und er uns zu sich nach Hause einlud.
Wir sind immer noch ueberwaeltigt von der Warmherzigkeit und der
Gastfreundschaft der Menschen, die uns bisher begegneten und wir werden
taeglich darin bestaetigt, dass es richtig ist zu Reisen. - Hier zu
Reisen.
Nachdem wir einen Monat lang die persische Kultur und Cuisine erleben
konnten, oft zu Gast waren und viele interessante Fragen gestellt bekamen, sind
wir Ende November ueber Tuerkmenistan weiter nach Usbekistan gereist. Auch hier
waren die Menschen sehr aufgeschlossen und interessiert. Viele waren hellauf
begeistert und wollten oft nicht mehr von unserer Seite weichen. - Daran
konnten wir uns waehrend der ganzen Zeit noch nicht wirklich gewoehnen!
Als wir die Grenze zu Tuerkmenistan ueberquerten, fiel uns als Erstes die
farbenfrohe Kleidung der Tuerkmeninnen auf, nachdem wir im Iran sehr viele
Frauen in schwarzen Chadors zu Gesicht bekamen. Besonders
Frauen und Maedchen, die in traditionellen, muslimischen Familien leben,
muessen dort die Ganzkoerperverhuellung tragen. Doch der Schein von mehr
persoenlicher Freiheit im Nachbarland truegt.
In der tuerkmenischen Hauptstadt Asgabat, die nur wenige
Kilometer von der Grenze entfernt ist, kann man deutlich den Druck des
repressiven Regimes spueren. Die "weisse Stadt" ist deutlich
ueberdimensioniert, die riesigen Marmor-Bauten spriessen zuhauf neben der
menschenleeren Strasse hoch. Aehnliches kann man in Mary und Tuerkmenabat sehen. Oraz,
ein junger Mann, den wir in Tuerkmenabat trafen, erklaerte uns, als wir am
Staatstheater vorbei liefen: "Es ist eigentlich immer geschlossen, weil
keiner das Geld hat, ins Theater zu gehen." - Das Gebaeude ist von enormer
Groesse und prunkhaft verziert. Eine Menge Staatsgelder muessen in dessen Bau
geflossen sein.
Oraz erzaehlte uns noch mehr: Um studieren zu koennen, muss man
Schmiergelder zahlen, im fuenfstelligen Dollar-Bereich. Wer Geld hat, dem
werden die Tueren geoeffnet. Allen anderen bleiben solche Weiterbildungsmoeglichkeiten
verwehrt. Viele Tuerkmenen studierten deshalb im Ausland, berichtet Oraz. Das
Gleiche, wenn man eine angemessene Arbeitsstelle finden moechte. Deshalb
moechte auch er das Land verlassen.
Tuerkmenistan bleibt laut Human Rights
Watch World Report 2013 "eines der
unterdruecktesten Laender der Welt".
Obwohl wir fuer die Durchreise nach Usbekistan nur ein Transit-Visum fuer
fuenf Tage bekamen, erfuhren wir sehr viel ueber die Zustaende im
tuerkmenischen Polizeistaat.
Zuerst stellten wir keine Fragen, die Menschen fingen einfach an zu
erzaehlen. Ein Internet-Anschluss zu Hause sei sehr
teuer, berichtete uns ein Deutsch-Lehrer. Er stehe sehr zeitig auf, um seine
E-Mails abzurufen. Erst Stunden spaeter koenne er sie lesen, falls die
Internet-Verbindung nicht abbreche. Als wir in einem Internet-Cafe auf das Social Network
zugreifen wollten, stellten wir fest, dass zahlreiche Websites blockiert und
die Preise unverhaeltnismaessig hoch waren.
Selbst ohne tiefgehende Recherchen bemerkten wir schnell, dass die
Bevoelkerung sehr stark unter dem Regime leidet.
Als wir am Tag unserer Abreise frueh zeitig das Haus Richtung
Bahnhof verliessen, trafen wir auf der Strasse eine grosse Menschenmenge in
traditioneller Kleidung und mit grossen Blumenstrauessen an. Wir erfuhren von
Oraz, dass Praesident Berdymukhamedov an diesem Morgen in Tuerkmenabat erwartet
werde und alle Menschen, die vom Staat beschaeftigt werden, aufgefordert sind,
sich am Strassenrand zu versammeln um ihm zu winken, ihm zu huldigen. Wer nicht
erscheint, verliert seine Arbeit.
Fuer uns waren diese Geschehnisse sehr surreal. Fuer die Tuerkmenen sind
solche Erlebnisse leider traurige Wirklichkeit.
Umso mehr waren wir beruehrt von der Freundlichkeit und der Offenheit der
Leute, mit denen wir sprachen.
Wir reisten entlang der Seidenstrasse weiter Richtung Usbekistan. Der
Uebergang von Osteuropa ueber Persien nach Zentralasien erwiess sich als fliessend.
Die Natur um uns herum wurde Schritt fuer Schritt anders, die Berge
verschwanden und was blieb, war Steppe.
Die Gesichtszuege der Menschen veraenderten sich graduell. Tuerkmenistan
war das erste Land, in dem die Leute, nach europaeischer Vorstellung, vermehrt
"typisch" asiatisch aussahen. Die Kleidung, das Essen, das taegliche
Leben hier unterscheidet sich sehr von dem in Europa.
Vor den Grenzkontrollen in Usbekistan wurden wir vorher zahlreich gewarnt.
Die letzten zehn Kilometer vor der Grenze reihten sich LKW's aus aller Herren
Laender auf. Fuer uns erwies sich aber die Einreise
jedoch als problemlos. Auf Franzoesisch wurden wir durch jegliche Kontrollen
gelotst und erreichten an diesem Tag das schoene gemuetliche Staedtchen Buchara.
Die Stadt mit ihren vielen altehrwuerdigen Moscheen und Madrasas (Koranschulen)
ist in der Geschichte neben Samarkand der wichtigste Ort
der Seidenstrasse, der Handelsroute, die Mittel- mit Ostasien
verband. Hier sind wir im Herzen Asiens.
Vor den Sehenswuerdigkeiten in Buchara und Samarkand gab es viele Souvenirs
zu kaufen, von kunstvoll bemalten Keramik-Gefaessen und Teeservices ueber
traditionelle Kopfbedeckungen bis hin zu Schmuckstuecken. Auf den typischen
Basaren priesen Marktfrauen, mit ihren bunten Gewaendern und ihren farbenfrohen
Kopftuechern, ihre Waren in vielen verschiedenen Sprachen an, als wir an
ihnen vorbei liefen. Als wir weiter gingen, fanden wir eine Vielzahl an
fremd duftenden Gewuerzen vor, kauften Non (flaches
rundes Weissbrot) und mit Sesam und Zucker ueberzogene Erdnuesse. Die
Gemuesehaendler boten hauptsaechlich Saisongemuese an: Kohl, Rueben und
Kartoffeln.
In der Haupstadt Tashkent kamen wir bei Rob und
seiner Familie unter. Als er uns von der U-Bahn abholte,
sprachen wir ueber die politische Situation in Usbekistan. Denn auch dieses Land hat eine
aehnliche Geschichte wie der suedliche Nachbarstaat. Es ist vielleicht sogar
noch schlimmer, Praesident Islom Karimov regiert das Land seit 1991. Zwar sieht
man nicht an jedem oeffentlichen Gebaeude ein Portrait von ihm, aber sein
Gedankengut ist seit Jahrzehnten in den Koepfen der Menschen verankert. Ueber
den Praesidenten oder Politik generell, sollten wir lieber nicht in der
Oeffentlichkeit sprechen, meinte Rob.
Besonders in der Haupstadt war auffaellig, dass grosse Plaetze meist
relativ menschenleer waren und die Anzahl an Polizisten dort besonders hoch
war. Manchmal waren sie in Zivil, manchmal in Uniform. Viele erkannten wir
jedoch zweifeslfrei an ihren Funkgeraeten, die stets eingeschaltet waren.
Zwei Mal reisten wir in Usbekistan mit dem Zug. Die Kontrollen an den
Bahnhoefen waren strenger als an den Grenzen, die Rucksaecke wurden durch die
Roentgenmaschine geschoben, der Ausweis gruendlich kontrolliert und selbst die
Hosentaschen mussten ausgeleert werden. Rob erklaerte uns, die
Sicherheitsmassnahmen seien drastisch gestiegen, nachdem es 2004 zu mehreren Anschlaegen in Tashkent und Buchara
gekommen sei. Aus Angst vor Terrorismus gaebe es u.a. keine Parkbaenke und
-tische mehr, soetwas wie Strassenfeste, wie es frueher ueblich war, werden
nicht mehr gefeiert.
Am Eingang zu jeder U-Bahn-Station standen Uniformierte. Wir wurden jedes
Mal kontrolliert.
Ein weiterer Teil der staatlichen Kontrolle ist die Registrierungspflicht
fuer Touristen. An sich war es notwendig, sich jeden Tag durch ein Hotel
registrieren zu lassen. Aber nicht jedes Hotel stellt einem diese Registrierung
aus, meistens tun dies nur die touristischen, teuren. Dadurch fuehlten wir uns
sehr eingeschraenkt und unter Druck gesetzt. Oft hoerten wir von Reisenden,
dass sie keine Probleme hatten, wenn ein paar Registierungszettel fehlten. Aber
an anderen Stellen berichteten Leute, die wir unterwegs trafen, alle Papierchen
seien gefordert worden. Uns fehlten am Ende zwei, aber wir wurden nicht einmal
nach den Registrierungen gefragt, die wir hatten.
Wir waren erleichtert, das Land nach knapp zwei wochen wieder verlassen zu
koennen. So richtig konnten wir uns nicht in Usbekistan verlieben. Vielleicht
lag es daran, dass das Wetter trueb und kalt war, wir taeglich unser Budget
ueberziehen mussten, dass wir nach Fergana mit dem Taxi reisen
mussten und der Taxifahrer permanent einschlief und dass wir von der schoenen
Landschaft nichts sahen, da die Fahrt nicht, wie angekuendigt vier, sondern
acht Stunden dauerte und es, als wir im schoenen Fergana-Tal ankamen, bereits
stockduster war.
Vielleicht war es aber auch die Rastlosigkeit, die sich langsam in unsere
Koerper und Sinne schlich.
Die Advente flogen dahin. Seit Monaten verfolgen wir Wochentage sowieso
nicht mehr mit besonderer Sorgfalt. Was fuer ein Tag ist heute? Montag,
Freitag? Mittwoch? Alles ist moeglich.
Weihnachtliche Stimmung mag bei uns dennoch nicht wirklich aufkommen. Seit
Samarkand fanden wir in den Laeden manchmal Schokoladenweihnachtsmaenner in den
Regalen oder es wurden kuenstliche Weihnachtsbaeume angeboten.
Als wir die Grenze nach Kirgisien ueberschritten (der einfachste
Grenzuebergang seit langem!) erging es uns aehnlich wie in Georgien. Eine Art
Last und Anspannung fiel von unseren Schultern. In Osh ruhten
wir uns etwas aus, bevor es gemeinsam mit Michael aus
Kanada, den wir dort trafen, weiter ins Gebirge nach Arslanbob ging.
Es tat so gut, nach den vielen Staedten und dem vielen Smog der letzten
Wochen und Monate, mal wieder saubere Luft zu atmen, ohne Menschen um einen
herum Zeit miteinander zu verbringen, die Natur zu geniessen und durch den
Schnee zu stapfen. Im Sommer sei es schoener, meinten viele
Bewohner des Doerfchens. Wir muessten wiederkommen, meinte der Englisch-Lehrer,
bei dem wir unterkamen.
Um das Dorf herum sind unglaublich schoene, verschneite Berge, sogar
Skifahren kann man dort und es gibt mehrere Wasserfaelle zu besichtigen.
Beruehmt ist das Dorf jedoch fuer seinen Wald. Dort wachsen naemlich
hauptsaechlich Wallnussbaeume. Wir kosteten natuerlich. Und ich darf sagen,
kein Wunder, dass Arslanbob fuer Wallnuesse beruehmt ist! Lecker.
Durch die atemberaubende, verschneite kirgisische Steppe reisten wir zu
dritt bis Taktogul, und trampten am folgenden Tag durch die bisher
vielleicht schoenste Landschaft, hinauf zum Chychkan-Plateau, dass sich bis zum
Chychkan-Pass erstreckte, vorbei an mindenst zehn verunfallten Autos und LKWs.
Auch wir drehten uns ein einhalb mal um die eigene Achse. Aber alles verlief
glimpflich.
Am Abend kamen wir in Bishkek an und waren dankbar fuer
eine warme Dusche und eine ordentliche Portion Schlaf.
Wir sind in einer internationalen WG untergekommen. Zwei Radreisende aus
Belgien haben sich hier fuer ein halbes Jahr niedergelassen, um Geld zu
verdienen und den Winter abzuwarten. Ausserdem sind noch eine Amerikanerin und
ein Australier Teil der bunten Mischung. Es ist angenehm, nach sechs Monaten
etwas laenger ausruhen zu koennen. Wir sind doch zugegebenermassen etwas
reisemuede geworden. Aber angesichts dessen, dass es Winter ist, finde ich das
ganz normal. Und wir haben ja schon von Matt am zweiten
Reisetag gelernt, dass Pausen unverzichtbar sind.
In Bishkek koennen wir noch einmal "westlichen" Standard
geniessen, haben warmes Wasser, eine voll funktionstuechtige Kueche, einen
Supermarkt nebenan, eine beheizte Wohnung und viele liebe
"Mitbewohner". Michael war mehrer Monate in China, bevor er nach
Kirgistan kam und er gab uns wichtige Tipps. Wir freuen uns auf China und
sicherlich wird es ein weiterer Schritt in eine ganz neue Welt.
Fliessend Wasser haette er selten bis gar nicht vorgefunden, Toiletten seien
ein Alptraum, Englisch werde sowieso nirgends gesprochen und Hotels seien
verhaeltnismaessig teuer, selbst wenn man dort manchmal nur einen Pappkarton
als Matraze bekomme - sonst nichts. Wir sind auf jeden Fall vorgewarnt und
werden nicht kopfueber ins kalte Wasser geworfen.
Unser Aufenthalt in Kasachstan wird, trotz unseres seit Anfang November
geltenden Visums, nur recht kurz. Wir haben uns dazu entschieden, hier
Weihnachten zu feiern, danach in Almaty Halt zu machen und dann muessen wir
innerhalb von vier Tagen nach China einreisen. Dort werden wir wohl das neue
Jahr begruessen - wahrscheinlich ohne grosse Party. Die Chinesen verwenden
ja ihren eigenen Kalender.
Wir moechten euch Lesern danken, dass ihr uns auf der Reise so toll
unterstuetzt habt. Wir sind dankbar fuer alle, die uns Aufgaben fuer "Make our Day" gegeben haben. - Wir
haben sehr liebe Menschen dadurch kennen gelernt, mussten oft unsere
Schuechternheit begraben und Leute ansprechen. Das Ergebnis ist sehr oft
erstaunlich - fuer uns und fuer die Menschen, die wir um Hilfe bitten.
Obwohl es vielleicht gerade sehr anstrengend ist, zu reisen, geniesse ich
es sehr, unterwegs zu sein. Ich hoffe, viele Laender ein zweites Mal besuchen
zu koennen, Menschen, die mir wichtig geworden sind, wieder zu treffen.
Ich wuensche euch fuer die verbleibenden
Tage des Jahres Ruhe und Gelassenheit. Ich wuensche euch gemeinsame Stunden mit
euren Familien bei Tee und Weihnachtsgebaeck und lege euch waermstens ans Herz,
auf das Jahr zurueckzublicken. Ich persoenlich liebe diese Abende, bei denen das
Erlebte noch einmal durch Kopf und Herz fliesst. Ich wuensche euch, dass ihr
auch nach vorn schaut und Kraft schoepft fuer ein neues Jahr. Ich bin froh,
dass wir diese Reise machen koennen, dass wir noch nicht wirklich ernsthaft
krank geworden sind und uns noch nie etwas geklaut wurde! - Im Gegenteil: Uns
wurde so viel geschenkt! Vieles, was wir nicht mehr benoetigten, haben wir
getauscht, wenn wir etwas brauchten, haben wir es oft sehr guenstig oder sogar
umsonst bekommen. So gut wie alles, was schlecht lief, nahm irgendwann eine
positive Wendung.
In diesem Sinne wuensche ich euch Frohe Weihnachten! Ab morgen werden die
Tage wieder laenger! :)
"Ni Hao" Ihr Beiden! Hört sich klasse an bis jetzt! Und das Beste liegt noch vor euch! Schön das Ihr ein bequemen Ort mit anderen Reisenden gefunden habven um auszurühen und Weihnachten zu feiern: perfekt! Und jetzt Alma Aty und Urumchi (nehm ich an) Urumchi ist nicht unbedingt ein schönen Ort. Nicht weit entfernt ist Turpan und dort ist es wirklich nett, mit sehr gastfreundlichen Uigur Volker. Froehe Weihnachten und ein gesundes glückliches weiterreise in 2014! It is wonderful to read your words and think about the first time I traveled through that area. What a great adventure you are having! Enjoy!! Safe and happy travels my friends! matt
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