29.01.2014 (1.03 Uhr Beijing Time):
Dunhuang, Gansu, China: Heute haben wir von anderen Reisenden erfahren, dass die Autonome Region Tibet fuer auslaendische Reisende bis Maerz/April geschlossen ist. Wir werden diesen (schlechten) Neuigkeiten in den naechsten Tagen auf den Zahn fuehlen. Nach einem Hotel-Marathon (alle waren uns zu teuer und - jaja - nur die Hotels mit vielen Sternen wuerden Auslaender aufnehmen... - Quark.) - Aber hier der eigentliche Post:
27.01.2014:
Hami, Xinjiang, China – Tag Zehn im Land dessen Name auf Chinesisch “Zhongguo“ heisst!
Wir sind bereits ungefaehr viertausend Kilometer gereist, seit wir Kirgistan
verlassen haben und – vorweg gesagt – es ist grossartig wieder voran zu kommen,
Neues zu erleben, zu erkunden und zu entdecken. Aber, wir bewegen uns durch ein
Land, dessen Sprache wir nicht verstehen, dessen Schrift wir nicht lesen
koennen und wo Internationalismen nicht verstanden werden. Man muss Glueck
haben, auf Menschen zu treffen, die einem weiterhelfen koennen. Und dazu kommt,
dass wir hier erstmals, aber leider nicht selten, auf Leute treffen, die gegen
unseren Charme und unsere Hilfsbeduerftigkeit offenbar immun sind.
Die ersten Erfahrungen sammeln wir in Kashgar,
wir fuehlen uns sehr wohl, schlaendern durch die Altstadt, probieren da und
dort etwas von den Essensstaenden, die ueberall in der Stadt zu finden sind.
Aus Zentralasien kommend, sind die Unterschiede nicht zu gross, dennoch staunen
wir viel in den ersten Tagen in diesem unfassbar grossen Land. Wie weit die
Orte voneinander entfernt sind, koennen wir schnell feststellen, als wir in den
Bus nach Hotan steigen. Verwoehnt von guenstigen Transportpreisen,
die seit dem Iran vorherrschen, knausern wir mit den rund fuenfunddreissig
Dollar, die die Fahrt kosten soll. Wir sitzen direkt ueber dem Fahrer mit
bester Sicht, und fahren fuenfhundert Kilometer entlang der Taklamakan-Wueste.
Im Abenddunkel finden wir eine Herberge, verhandeln, einigen uns und wandern
durch die naechtliche Innenstadt. Eine Mao-Statue schmueckt den zentralen
Platz, Jugendliche, (unglaublich viele) Kinder und Erwachsene vergnuegen sich
auf einem Rummel: Karussel, Luftballonschiessen, Auto-Scooter. Laute Musik
hallt von allen Seiten und geht ineinander ueber. Ein tiefer Dunst haengt ueber
der Stadt. In unserem Reisefuehrer lesen wir, der Smog sei im Winter am schlimmsten.
Trotzdem kann man Sterne am Himmel erkennen, der Mond ist seit ein paar Tagen
wieder abnehmend.
Wir suchen nach Abendessen und setzen uns neben gackernde Uighurs, die von uns
fasziniert sind und schluerfen Lamian
(Suppe mit Nudeln). Es ist kalt, ein Uhr nachts, ueberall dampfen die
Kohle-Kessel, der Nacht-Markt leert sich langsam. Morgen frueh sind die
Essenstaende die ersten, die wieder auf machen.
Ausgeschlafen machen wir uns am naechsten Tag auf den Weg, legen uns einen
Wasservorrat an, kaufen Lauch- und Zwiebelbrote und beginnen den Fussmarsch aus
der Stadt hinaus, denn wir wollen per Anhalter durch die Wueste reisen. Wir
kommen vorbei an Gemuese-, Fleisch- und Trockenfruechtehaendlern,
Teppichverkaeufern und Roller-Werkstaetten. Kinder spielen alleine auf der
Strasse, die Gesichter kohleverschmiert. Dreirad-Transporter dienen als
oeffentliches Verkehrsmittel, ein alter Mullah reicht dem Fahrer einen Yuan und setzt sich auf die Kante der
Ladeflaeche.
Riesige Kohlebloecke liegen vor einem Haus, das Stroh trocknet auf dem Dach,
die Huehner stolzieren ueber den andrazitdunklen Boden.
Wir fragen nach der Richtung und sind sofort von zehn, fuenfzehn Schaulustigen
umringt. Wo die Strasse nach Aksu
ist, wollen wir herausfinden. Sie zeigen in verschiedene Richtungen. Etwas
hilflos laufen wir weiter. Auf einmal schreit Emma, ein Halbmaskierter haelt
ein Messer in der Hand und versucht, ihre Tasche an sich zu reissen. Zum Glueck
haelt sie die Tasche fest, ich schubse ihn weg und schreie ebenfalls. Er muss
ohne Beute fluechten und springt auf den Motorroller seines Kumpanen. Mit
wackligen Knien sortieren wir uns und wir finden jemanden, der uns helfen kann.
Wir werden an die richtige Stelle gebracht und schreiben in chinesischen
Schriftzeichen Aksu auf unser Schild.
Viele halten an, fahren aber weiter, als wir mit Haenden und Fuessen erklaeren,
dass wir fuer die Fahrt nichts oder nur sehr wenig bezahlen wollen. Viele LKW’s
parken am Strassenrand. Mit ihnen wuerden wir sicher in der Nacht nach Aksu
kommen. Aber wir entscheiden uns dafuer, noch etwas von der Wueste zu sehen und
handeln einen bezahlbaren Preis fuer die naechsten vierhundertfuenfzig Kilometer
aus. Fuer die naechsten circa acht Stunden teilen wir das Auto mit drei
Moslems.
Hinterm Steuer sitzt ein moppliger, kurzgeschorener Mann mit einem duennen
Oberlippenbart. Neben ihm, nach hinten gewand sitzt ein Mann im mittleren
Alter, ein langer rotgefaerbter Bart (ein Zeichen fuer besonders grosse
Religiositaet), eine traditionelle Kappe auf dem Hinterkopf. Er hat liebe
Augen, schweigt die meiste Zeit. Ich sitze in der Mitte hinten, meine Beine
eingeklemmt, Emma rechts, ein ziegenbaertiger Mann mit wachen Augen und
schlechten Zaehnen links. Er redet auf mich ein, will wissen wo wir herkommen,
traegt einen Fellhut und stoehnt oefter “Allah
akbar” aus. Irgendwann holt er sein Telefon hervor, praesentiert mir seine
englische Smartphone-Ausgabe des Heiligen Koran’s. Interessiert, zu
interessiert fuer seine Begriffe, lesen wir die Zeilen. Von Nichtglaeubigen
handeln sie und davon, dass sie verloren sind. Ich ahne Schlimmes. Der Mann
zeigt gen Himmel und meint immer wieder “Allaaaahh”! Der Fahrer schaltet das
Radio ein. Ein Imam predigt, Glaeubige stellen ihm Fragen, er antwortet. Es ist
schrecklich monoton, aber dessen nicht genug, wird der Volumeregler so sehr
nach oben gedreht, dass die Boxen uebersteuern. Uebermuedet schlafen wir
dennoch ein. Als die Sonne untergeht und wir fuer das Abendgebet anhalten,
haben wir ein paar Minuten Ruhe. Der Rotbart uebernimmt das Steuer. Der
Ziegenbart rueckt auf den Beifahrersitz und der Oberlippenbart kommt neben
mich. Er ist unfreundlich. Er will, nein, er verlangt unseren Pass zu sehen (er
wird ihn nicht sehen) und will wissen, wie viele Kinder Emma hat. Keine? Nein,
wie viele? Warum nicht? Drei? Vier? Er versteht uns nicht. Er spricht mir Worte
vor und will, dass ich sie wiederhole. Sie erinnern mich sehr an ein Gebet, bei
dem man den Glauben zum Propheten Mohammed und zu Allah bekennt. Ali
hat uns im Iran davon erzaehlt. – Will er aus mir einen Moslem machen?! Ich
weigere mich und hoffe auf einen Szenewechsel. Wir halten wieder an. Die drei
gehen beten, danach gibt es Essen. Im Fernsehen laeuft ein Kriegsfilm mit
englischen und chinesischen Untertiteln. Wir trinken Chai, erklaeren allen
Umstehenden wo wir herkommen, einer hat peruanisches Geld, fragt uns aber, woher
es stammt, wir erklaeren aus Peru. Keiner versteht. Sie raten. Wir hoeren nur
Russland, wir sagen abermals Peru, erklaeren wo es liegt. Unglaeubigkeit. Wir warten
bis die Herrschaften fertig gegessen haben und hoffen darauf, bald Aksu zu
erreichen. Trotz Muedigkeit traue ich mich nicht zu schlafen, nachdem der
Stillste der drei am Lenkrad einnickt. Auch der Mopplige schliesst nach einem
erneuten Fahrerwechsel immer laenger die Augen. Beim Polizeicheck, als wir die
Wueste verlassen, schlaeft er, nachdem wir fuenf Sekunden stillstehen. Also
beginne ich, auf Deutsch auf ihn einzureden: “Bleib wach! Nein, nicht so weit
nach links! Bleib auf deiner Spur! Achtung, Achtung!” – und dazu der monoton
labernde Radio-Imam. Nach einer ewig waehrenden Fahrt setzt er uns irgendwo in
Aksu ab. Wortlos und erschoepft verabschieden wir uns.
Es ist (wieder
mal) zwei Uhr nachts. Wir wollen einfach nur pennen und finden eine Unterkunft,
wo wir am naechsten Tag bis zum Nachmittag schlafen. Vom “Trampen” haben wir
leider erstmal fuer ein paar Tage genug. Wir haben gelesen, dass es einen Zug
von Kuqa nach Turpan gibt. Am Busbahnhof erfahren wir aber, dass wir auch einen
direkten Zug nehmen koennen. Also decken wir uns abermals mit Essen ein und
fahren zum Bahnhof. Unser Achtzehn-Stunden-Zug faehrt erst zwei Uhr nachts.
Also setzen wir uns ins Warme, beobachten Massen ankommen und abfahren, lesen
und recherchieren.
Der Zug ist
gestopft voll. Unsere Plaetze liegen mehrere Reihen auseinander. Wir versuchen,
Sitzplaetze zu tauschen. Es dauert eine Weile, bis sich jemand bereit erklaert,
uns zusammen sitzen zu lassen. Ein aelteres Ehepaar sitzt mit uns auf den zwei
Dreierbaenken und eine junge Muslima bestickt ein Kissen.
Die Augen sind von allen Seiten an uns geheftet, selbst als wir aneinander
gelehnt versuchen, ein wenig Schlaf zu finden. Erst als in Korla viele aussteigen, acht Stunden nach dem wir losgefahren sind,
ist Platz genug, sich einmal auszustrecken. Wir sind beeindruckt von der kargen
Natur, die Berge sind cremefarben bis rostbraun, der Zug schlaengelt sich
bergauf, bergab, die LKW’s auf der Strasse nebenan begegnen uns immer wieder.
Es geht durch menschenleere Gegenden, an kleinen verlassenen Ruinen und
bewohnten Lehmhaeusern vorbei, von deren Schornsteinen Rauch aufsteigt. Viele
Schafherden, Esel, Ziegen und Kamele beobachten wir, aber Menschen gibt es hier
nur sehr wenige.
Am meisten interessieren unsere Mitreisenden unsere Buecher. Immer wieder
schauen uns Chinesen ueber die Schulter und lachen und feixen. Wir spielen
Verstecken mit kleinen rundgesichtigen Kindern und sind von einer grossen
Traube von Menschen umringt. Einer hat ein intelligentes Telefon und stellt uns
mithilfe seines Uebersetzungsgeraetes Fragen: Wie teuer eine Hochzeit in
Deutschland ist und ob wir Moslems sind.
Alles was uns irgendwie seltsam und neu erscheint, versuchen wir mit einem
Laecheln zu quittieren. Unser Freund Canada-Michael
erklaerte seine Hass-Liebe zu China so, dass man eben stets probieren sollte,
seinen Humor zu behalten. Manchmal faellt mir das ein bisschen schwer.
In Turpan gibt es keinen Bahnhof,
weshalb die Zuege im knapp sechzig Kilometer entfernten Daheyan halten. Als wir acht Uhr abends ankommen, gibt es keine
Busse mehr und wir muessen mal wieder mit Taxifahrern diskutieren, um fuer
einen bezahlbaren Preis in die Stadt zu kommen. Das White Camel Youth Hostel, von dem wir einen Flyer besitzen, ist
geschlossen. Ein bingguan nebenan
kann uns aber aufnehmen.
(Taxifahrer – es muss einfach mal raus:
Diese Gattung benoetigt eigentlich einen eigenen Eintrag, auch wenn sie diejenigen
sind, die es sich am wenigsten verdient haben. Bisher sind, egal in welchen
Laendern, sie dafuer verantwortlich gewesen, wenn wir aergerlich wurden, denn
stets versuchen sie uns, uebers Ohr zu hauen, aus uns Touristen so viel wie
moeglich herauszuquetschen. Und: Sie luegen (gefuehlt) immer, wenn sie einen
Vorteil daraus ziehen koennen. Deshalb: Frage NIE einen Taxifahrer, ob es einen
Bus gibt, oder ein Shared Taxi oder ob man die Strecke auch laufen koennte.
Ist man auf sie angewiesen, so ist die Zeit meist sehr unangenehm. Vom
Intellekt her scheinen die meisten auf aehnlich schlechte Weise ausgeschmueckt
zu sein, was auch kein Wunder ist, wenn man tagtaeglich tausendfach nur “Taxi,
Taxi” ruft. – In Zentralasien ist das im Uebrigen noch um Laengen verbreiteter.
Die verzweifelten Versuche, uns fuer sich zu gewinnen ist geschmacklos und
schlimmer als das Buhlen im Tierreich. Ihr Charakter leidet definitiv unter
ihrer Geldgier und ihrer Langeweile. Die Dollar-Zeichen blinken in ihren Augen
auf, sobald sie uns sehen, wie Raubtiere stuerzen sie sich auf uns, wie
Kaugummi an der Schuhsohle bleiben sie an unserer Seite, bis wir deutlich
gemacht haben, dass wir kein Taxi brauchen und sie uns sowieso zu teuer sind.)
Turpan (Tulufan) hat einen
wunderschoenen Basar, wo es alles gibt, was das Herz begehrt. Diese Gegend
Xinjiangs ist besonders beruehmt fuer ihre Weintrauben, Melonen und ihre
Baumwolle. Sobald man in die Naehe des Basars kommt, duftet die Luft nach
frisch gebackenem Brot, scharfen Gewuerzen, geroesteten Nuessen, gebratenem
Fleisch und – Feuer. Diese Geruchsmischung ist unglaublich angenehm und wir
stuerzen uns gern in das Getuemmel, probieren hier und dort von den Auslagen
und photografieren die Schaetze von dieser Seite der Welt.
Wir entscheiden uns am Ende fuer dunkelblaue und gruene Rosinen, die milchigen
Wallnuesse sind leider zu teuer. Auch hier gibt es leckeres rundes Lauch-Brot
(fuer ungefaehr dreissig Cent pro Stueck). Der feuchte Brotteig wird in das
Innere eines Steinofens geklebt, baeckt wenige Minuten ueber dem offenen Feuer
und wird dann mithilfe eines Hakens wieder herausbefoerdert und auf die Auslage
geworfen – Ein schoenes Schauspiel. Auf aehnliche Weise werden mit Fleisch
gefuellte Teigtaschen (wie Samsa in
Kirgistan, Kasachstan und Co.) gemacht. Das Fleisch dafuer wird auf einem
Holzbock vor dem Verkaufsstand mit dem Beil zurechtgehackt. Das tote Tier
(meist Ziege oder Schaf, aber auch hin und wieder Kamel), oder Teile davon,
haengen meist an Haken daneben. Oft liegen Fell, Koepfe und Eingeweide nicht
weit entfernt, auch wenn die Chinesen so gut wie alles vom Tier essen.
Besondere Delikatessen sind hier Hoden, Gehirn und sonstige innere Organe.
Fischkoepfe sind auch hoch im Kurs.
Bisher haben wir noch keine der letztgenannten Dinge probiert.
Ein Ticket fuer den Zug zu bekommen, ist ein Erlebnis an sich... Wieder loesen
wir eine Fahrkarte fuer einen Nachtzug, dieses Mal ca. vierhundertfuenfzig
Kilometer weiter nach Hami, nachts
zwei Uhr.
In der Zwischenzeit lernen wir im Turpan Museum ein bisschen ueber die
Geschichte der Seidenstrasse in China dazu, viele Ausstellungsstuecke sind
mehrere hundert Jahre alt. Durch urige kleine Strassen und ueber staubige,
braune Weinfelder laufen wir zum Emin
Minarett, einer alten Moschee mit einem hohen, runden, verzierten Turm
inmitten von Old Turpan. Idyllisch
geht die Sonne unter im schmierig-versmogten Licht. Seit unserer Ankuft ist
taeglich Sonnenschein – ein wirklich sehr angenehmer Winter, wenn auch ziemlich
knackig!
Wir eilen zurueck, holen unsere Rucksaecke und hoffen, noch rechtzeitig zum Bus
zu kommen, der uns zum Bahnhof bringen soll – Vergeblich. Ein verkorkster Tag
nimmt seinen Lauf. Keiner derjenigen, die wir fragen, will uns fuer unsere vorgeschlagene
Summe zum Bahnhof nach Daheyan bringen. Das Handeln, das Feilschen, was bisher
immer ganz gut zu funktionieren schien, kommt in China an seine Grenzen. Oft
besteht unser Gegenueber auf seinen Preis, obwohl wir wissen, dass es nicht die
korrekte Summe ist.
Wir werden von einem englischsprechenden, jungen Mann ins Stadtzentrum
eingeladen, dort sei es einfacher, ein billigeres Taxi zu finden. Als es dort
auch unmoeglich scheint, jemanden zu finden, fragen wir die Polizei um Hilfe. Die
Beamten rufen ihre Kollegen, sie bringen uns auf die Polizeiwache. Ausweise
werden kontrolliert und Fotos geschossen, aber alles laeuft sehr freundlich ab.
Sie bieten uns an, uns zum Bahnhof zu bringen. Wir sind voll des Dankes und der
Erleichterung und froh, wenigstens ein paar Yuan
an diesem Tag gespart zu haben.
Im Zug finden wir
nach ein paar Minuten Wirrwarr wieder eine Sitzbank zusammen und schlafen, den
Kopf auf dem Tisch, bis wir sieben Uhr frueh in Hami sind. Um neun wird es erst
hell, also fragen wir die officers
bei der Gepaeckkontrolle, ob wir ein paar Stunden im Bahnhofsgebaeude schlafen
koennen.
In Situationen wie diesen wird uns deutlich, dass ganz viel in China auf Regeln
basiert. Wir duerften eigentlich nur ins Gebaeude, wenn wir ein Ticket haetten.
Dass wir gerade angekommen seien, dass es dunkel sei und wir kein Hotel
haetten, wo wir hingehen koennten, erklaeren wir. Verschiedene Bahnhofs-Polizisten
werden konsultiert, bis wir endlich ins Innere geleitet werden. Wir duerfen im
VIP-Bereich die Beine auf den Baenken ausstrecken. Punkt neun, die Sonne ist
gerade aufgegangen, werden wir aus dem Schlaf gerissen. Es waere jetzt hell,
wir sollten jetzt gehen. Freundlich, aber bestimmt.
Vieles, was uns hier begegnet, erscheint festgelegt und starr. Vielleicht liegt
es daran, dass die letzten Tage nicht so leicht fuer uns waren. Aber oft sehe
ich mich mit Konflikten konfrontiert, die eigentlich nicht der Rede wert sind.
Ich fuehle, als sei fuer eine eigene Meinung, fuer Individualitaet nicht so
viel Freiraum. Schon gar nicht bei Entscheidungen. Es wirkt auf mich, als
wuerde das System, das Gesetz ueber allem stehen (was
wahrscheinlich teilweise notwendig ist, bei der Menge an Menschen, die in
diesem Staat leben) – aber es ist gleichzeitig wie eine Kapitulationserklaerung
an das eigene Denken. Das sozialistische Gemeinwohl steht noch immer im
Vordergrund, Sonderwuensche sind ungewoehnlich, so erscheint es mir. Und wenn
sich jemand damit konfrontiert sieht, dann gibt der die Entscheidung ab, an
hoehere Instanzen. So werden wir von Pontius zu Pilatus geschickt. Fuer mich
sieht es aus, als wuerden sich viele unverantwortlich fuehlen, nicht weiter
wissen, wenn wir ungewoehnliche Fragen stellen und daher lieber auf die Regeln
verweisen und Ausnahmen verwehren. Als wuerde Mao persoenlich ueber ihre
Schulter schauen und jeden Arbeitsschritt nachverfolgen. Dort wo sie koennen,
machen sie natuerlich trotzdem, was sie wollen…
In Hami selbst, einer modern und
jung wirkenden Stadt, finden wir schnell eine sehr guenstige Bleibe, schlafen
ein paar Stunden, bevor wir die Stadt erkunden.
Das Interessanteste sind zwei Moscheen nebeneinander, eine im Chinesischen
Stil, wie ein buddhistischer Tempel designed, die andere im traditionell
muslimischen Uighur-Stil.
Als wir zurueck kommen, ist die Rezeptionsdame wie verwandelt. Sie wirkt
angespannt, will uns aus dem Zimmer werfen. Wir zeigen ihr eine Telefonnummer
von einer der Bahnhofsangestellten, die Englisch spricht, weil wir die Gruende
fuer ihre Verwandlung erfahren moechten, sie will aber nicht anrufen. Sie will
uns auch das Geld nicht wieder geben, was wir bereits fuer die Nacht bezahlten.
Im Hotel koennten wir nicht bleiben, gibt sie uns zu verstehen, weil sie sonst
Probleme mit der Polizei bekaeme. Ohne unser Geld wuerden wir nicht gehen,
kontern wir. Am Ende schreit sie uns an, gibt uns aber den gruenen Schein
zurueck, von dem uns Mao anstarrt, und verjagt uns. Sicherlich ein klassisches
Missverstaendnis, ein Unverstaendnis. Nicht alle Hotels und Gaestehaeuser sind
dazu befugt, Touristen aufzunehmen. – Wieder erkenne ich den Schatten Mao’s.
Als wir, wieder
im Dunkeln, von Hotel zu Hotel ziehen, da sie uns alle zu teuer sind, wird
abermals die Polizei zu Rate gezogen. Die jungen Uniformierten laden uns in
ihren Dienstwagen und begeben sich mit uns auf Gasthaus-Suche. Dank ihnen
werden wir fuendig und wir schuetteln dankbar Haende, schauen in glueckliche
Gesichter.
In China
herrschen fuer mich unverstaendliche Gegensaetze vor: Reichtum ist sicherlich
fuer viele weit entfernt, dennoch sind die Preise unglaublich hoch und Geld
scheint in grossen Mengen vorraetig zu sein. Sie geben alles, fuer die
Wirtschaft des Landes, wie fuer die eigene natuerlich auch. Kapitalismus im
Sozialismus. Besonders grosse Herzlichkeit oder Empathie begegnet uns hier
bisher wenig, nicht dass wir es als Selbstverstaendlichkeit annehmen wuerden.
Aber die Interesse an uns scheint sich leider vorranging auf unsere
finanziellen Mittel zu begrenzen – abgesehen von unserer Andersartigkeit im
Aussehen.
Fuer Low-Budget-Touristen wie uns
sind in dieser Jahreszeit einfach die Moeglichkeiten sehr begrenzt, der
hungrige Chinesische Geld-Schlund verlangt sehr viel von uns ab und wir hoffen,
dass wir dennoch mit vielen positiven Erfahrungen weiterreisen koennen. Auch
wenn noch viele tausend Kilometer vor uns liegen, ein paar tausend Kilometer
haben wir in zehn Tagen “durchflogen“. Dieses Reisetempo ist fuer Koerper und
Geist nicht sehr angenehm, wir sind verspannt und haben tiefe Augenringe J. Aber wir geniessen jeden guten Moment,
sind dankbar fuer liebe Menschen, die uns begegnen und fuer tolle Gegenden, die
unsere Augen erblicken.
Vielleicht wird alles ein wenig leichter, wenn wir Xinjiang verlassen. Gansu
wartet schon auf uns!
China, wir sind bereit, wir bieten dir Frieden an. Nimm ihn an, sei so gut!
Liebe Gruesse
aus‘m Osten,
Euer Anselm (und eure Emma)
|
Riesige Mao-Statue in Kashgar |
(weitere Bilder gibts in der "Fotoreihe Januar")