Fakten

Wir sind 849 Tage um die Welt gereist (11. Juni 2013 bis 07. Oktober 2015). Unsere letzte Station war Bangkok, Thailand.
Wir reisten 71844 Kilometer durch 26 Länder. Jetzt sind wir wieder in Deutschland und planen unsere naechste Reise.

Dienstag, 1. April 2014

"Tiger Balm?"

Namaste!

Das Flugzeug rauscht und ruckelt, ein kaum durchdringliches Murmeln aus verschiedenen Sprachen und Stimmen umhuellt mich, der Blick aus dem kleinen Bullaugenfenster zeigt nur Weiss. Eine adrett gekleidete Chinesin auf den winzigen Bildschirmen an der Decke erklaert den Reisenden mit Dauerlaecheln die Sicherheitsanweisungen. Am Abend zuvor hatten wir noch mit anderen Chinesen im Park getanzt und jetzt waren wir also tatsaechlich auf dem Weg nach Nepal! Ein komisches Gefuehl, nach zweihundertsechzig Tagen des Ueberlandreisens in einem Flugzeug zu sitzen, das uns innerhalb von drei Stunden mal eben zweitausend Kilometer wieder in den Westen bringen soll…

Am Flughafen in Kathmandu reihen wir uns erstmal in die Menschenschlange vor dem Visaantragsschalter ein, tauschen je vierzig Dollar gegen ein niedliches aufkleberaehnliches Nepalvisum, bekommen den Einreisestempel und begeben uns auf die Suche nach unseren Rucksaecken. Liebevoll wurden sie mit anderen Reisetaschen auf einen Haufen geworfen, aber alles scheint noch heile zu zein. 
Als wir das Gebauede verlassen, faellt mir schnell auf, dass hier immer noch mit grosser Inbruenstigkeit, Ausdauer und Lautstaerke gewuergt, gespuckt und der Hals freigehustet wird. Die Gepflogenheiten aus China werden also erstmal beibehalten. :)
Mit drei deutschen Jungs fahren wir schliesslich mit einem klapprigen Taxi nach Thamel, ins Touristenviertel von Kathmandu. Strassenstaub, Gehupe, neugierige Blicke und warmer Wind wehen zu uns durchs offene Fenster herein. Es ist bereits dunkel, aber das verworrene Chaos auf den Staubwegen der groessten Stadt Nepals fasziniert mich und ich kann meine Augen gar nicht von den vorbeifahrenden vollgestopften Bussen, den kleinen Laeden am Strassenrand, Frauen in bunten Saris und Maennern mit traditionellen Hueten wenden, die sich waghalsig auf wackligen Fahrraedern ihren Weg durch den verrueckten Verkehr bahnen. China war ja schon irre, aber mit diesem seltsamen modernen Einfluss gewuerzt. In Kathmandu scheint alles auf dem ersten Blick mit sehr viel einfacheren Mitteln zu funktionieren, die Stadt wirkt viel gemuetlicher als chinesische Staedte - so ganz ohne Dauerblingbling an den Haeusern und ohne Wolkenkratzer. So viel mehr nach meinem Geschmack...
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Wir haben ein indisches Visum zu beantragen. Aber an dem Tag nach unserer Ankunft in Kathmandu ist die Botschaft geschlossen - hinduistischer Feiertag. Irgendwie scheint es, als werden in unseren Reiselaendern immer dann Feste gefeiert, wenn wir gerade dort sind: Tbilisoba-Festival in Tbilisi, Ashura-Zeremonien in Theran, Chinese New Year...Und nun ist es eben das "Mahashivaratri" in Kathmandu. An diesem Tag pilgern unzaehlige glaeubige Hindus (darunter viele Inder) nach Kathmandu zum Pashupatinath-Tempel, um dort Gott Shiva (den "Erschaffer und Zerstoerer") zu ehren.
Als wir durch Thamels Gassen schlendern, treffen wir Nabila aus Kanada, die gerade unterwegs zum Pashupatinath ist. Wir beschliessen, sie zu begleiten und steigen zusammen in einen Minibus, der uns zum Tempel bringen soll. Es gibt etwa zehn Sitzplaetze. Wir zaehlen vierundzwanzig Leute. Nabila sitzt auf meinem Schoss. Auf dem Weg zum Tempel werden wir Teil von sich voran schiebenden Menschenmassen - pilgernde Hindus wie Touristen in alternativen Klamotten haben das gleiche Ziel wie wir. Frauen in bunten Gewaendern, rote Taki-Punkte auf den Stirnen, Sadhus und Babas mit langen weissen Baerten und hochgedrehten Dreadlocks, Raeucherstaebchengeruch, dreckige Luft, froehliche Hare Krishna-Taenzer, in langen Schlangen aufgereihte Hindus mit Opfergaben fuer Shiva in den Haenden...Da wir keine Hindus sind, duerfen wir nicht auf das Tempelareal. Daher sehen wir den Pashupatinath nur von Weitem, aber die Atmosphaere dieses fuer Hinduisten besonders heiligen Ortes, der so in der Abenddunkelheit wild beleuchtet strahlt, ist dennoch beeindruckend. Elm und ich laufen durch die dunklen, stark verstaubten Strassen zurueck zu unserem Hostel. Die Luft ist so schlecht, dass wir uns Tuecher vor Mund und Nasen halten muessen. Vor dem Zubettgehen kaemme ich mir den Dreck aus den Haaren - die Zacken des weissen Hotelkamms aus China faerben sich schwarz.

Verrueckt buntes Licherschaupsiel beim Pashupatinath-Tempel in Kathmandu

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Thamel, das alte, von Touristen ueberfuellte Zentrum Kathmandus, bietet uns eine Menge Dinge, die wir in China etwas vermisst hatten: huebsche, gemuetliche Cafes; leckere Restaurants mit nepalischem, indischem und tibetischem Essen; bunte Laeden mit alternativen Klamotten; Dachterrassen...Anfangs war es ein sehr seltsames und leicht ueberforderndes Gefuehl, In Kathmandu anzukommen und ploetzlich so viele Auslaender um sich zu haben. In China fuehlten wir uns manchmal etwas allein zwischen Hunderten von Chinesen, nur in Kunming trafen wir zum ersten Mal wieder viele Auslaender auf einem Haufen. Aber in Thamel scheint es tatsaechlich mehr Nichtnepalis als Nepalis zu geben. Westler, die in nepalischen Klamotten mit roten Punkten auf der Stirn durch die Strassen flanieren, ueberall wird man auf Englisch angesprochen und ist nur einer von vielen. Aber daran gewoehnen wir uns schnell. 
Nach ein paar Tagen in Thamel beginnen wir schon, zu raten, mit welchem Spruch wir als naechstes angequatscht werden: "Riksha, Sir?", "Smoooke? Hashish, Marihuana?", "Come inside, very cheap, many colours!" oder mein Lieblingsspruch, der meist aus den Muendern kleiner schuechtern wirkender Maenner kam, die uns ihre Haende mit kleinen Döschen entgegenstreckten: "Tiger Balm?" Die meisten der Verkaeufer scheinen nur auf die Touris fixiert zu sein, aber mit der Zeit war dieses Angequatschtwerden durchaus sehr amuesant. :)


Zeitungspause am Konsum im Norden von Thamel, Kathmandu

Kabelkunst (in Deutschland wuerde so etwas nie funktionieren...)

Alte Frau an roter Wand, Kathmandu

Zehn-Rupien-Schein-"rauchender" Junge beim Spielen auf einer Riksha, Thamel

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Licht an. Licht aus. Licht an. Licht aus. Der Generator vor dem Fenster rattert. Wir stellen schon mal Kerzen auf. "Electricity comes back after twelve"...Also wach bleiben, Dreads haekeln und warten, bis der Strom zurueck kommt und wir die Application Form fuer unser Indienvisum am Computer ausfuellen koennen. 
In ganz Nepal wird der Strom mehrmals am Tag fuer mehrere Stunden abgeschaltet - eine ganz neue Erfahrung, da wir uns nun zum Akkusaufladen auf die Stromzeiten einrichten muessen und besser immer Kerzen und Feuerzeug im Zimmer haben sollten.
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Tatsaechlich schaffen wir es erst an unserem fuenften Tag in Kathmandu, auf die Indische Botschaft zu gehen. Der ganze Organisationskram mit den Passfotos, Ausweis- und Visakopien und dem Ausfuellen der Antragsformulare hat letztlich doch mehr Zeit in Anspruch genommen, als erwartet. 
Auf der Botschaft ziehen wir am Automaten eine Nummer und setzen uns zu den anderen Wartenden in die Sonne. Als wir an die Reihe kommen, schieben wir all unsere Papiere durch den schmalen Schlitz am Visaschalter und werden gelangweilt gebeten, in einer Woche wieder zu kommen. So, indisches Visum beantragt.

Bananenfreund in der Stromkabelschaukel, Kathmandu

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Der Bus huepft durch Schlagloecher. Mein Kopf sinkt immer wieder auf meine Brust, ich bin so muede. Der durcheinander gewirbelte Reisebiorhythmus wird mal wieder spuerbar. Es ziehen gruene Felder vorbei; kleine, einfache Doerfer; ich sehe Nepalifrauen, die ihre bunte Waesche an Wasserpumpen am Strassenrand waschen; die Strasse (ein Highway!) ist bruechig, sandig; selbst bei Bergserpentinen kommen uns geschmueckte LKWs und Touristenbusse entgegengebrettert. Nach etwa sieben Stunden Fahrt haben wir die zweihundert Kilometer nach Pokhara hinter uns gebracht.
Wir finden in nettes Hostel am Ende der Seestrasse mit tollem Blick auf den Phewa-See und die Berge. Als Elmi unsere Namen in die Liste der Hostelgaeste eingetragen hat, kommt er sehr ueberrascht zurueck. "Weisst du, wer sich vor uns in die Liste eingetragen hat?" Es war Samuel, ein deutscher Fahrradfahrer, den wir bereits in Trabzon, in der Tuerkei kennen gelernt hatten, als wir unser Iranvisum beantragten. Am Abend treffe ich ihn dann wieder und wir beide sind echt begeistert, wie uns unsere Reisewege wieder gekreuzt hatten. :)
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Der Motor der Royal Enfield knattert tief und beruhigend, der Fahrtwind weht mir fast den viel zu grossen Helm vom Kopf, mit meinen Armen umschlinge ich Elmi und lehne mich an seine Schulter. Es ist herrlich: sonnenblauer nepalischer Fruehlingshimmel, saftig gruene Wiesen und Waelder, bunt gekleidete Menschen, die auf ihren Koepfen Koerbe balancieren und uns interessiert nachschauen. Eine kleine Strasse fuehrt uns hinauf auf einen kleinen Berg ins Minidorf Sarankot, von wo aus wir einen weiten Blick ueber Pokhara, den See und die Berge haben. Wir haben die Winterkaelte hinter uns gelassen und sind in Sommertemperaturen angekommen, die uns hoffentlich so bald nicht wieder verlassen. Es macht Spass, so durch die Gegend zu duesen und endlich mal wieder unabhaengig mit einem "eigenen" Gefaehrt herumzufahren.

Cooler Typ auf nem coolen Motorrad :)

Aussicht auf die "White Peace Pagoda"

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Wir stehen in der Kuehle eines neuen Tages auf einem Berg. Die Sonne taucht die schroffen Gipfel des Annapurna in sanftes zartrosa Licht. Der Schnee leuchtet in der Morgendaemmerung und loest sich in fantastischen Boehen von den kalten Felsen des Achttausenders.  Die Bergketten faechern sich in verschiedenen Blautoenen vor meinen Augen auf, die tieforangene Sonnenkugel rollt langsam ueber die schattige Kante der Berge. Ein atemberaubendes Schauspiel! Die Menschen neben mir unterhalten sich mit gesenkten Stimmen, machen Fotos und draengeln sich um die besten Aussichtsplaetze. Ich schliesse die Augen und lasse die immer staerker werdende Waerme mein Gesicht streicheln.
In einem kleinen, sehr einfachen Cafe in der Sonne essen wir dann Fruehstueck mit Lina und Hannah (zwei Maedels aus Koeln), Roland und Solene (einem franzoesischen Paerchen aus Paris) und verbringen noch Stunden in der prallen Hoehensonne, bevor wir mit den zwei deutschen Maedels wieder den Rueckweg ins Tal nach Pokhara antreten. Es ist eine schoene Wanderung, mit verschlafenen Dorfhaeuschen, winkenden Kindern, an den Dschungel erinnernden Waeldern, wackligen Steinstufenwegen...

Pokharatal und die Schneeberge der Annapurna-Bergkette

Wanderung bergab, mit Blick auf den Phewa-See, Pokhara

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Ach, dieser franzoesische Humor! :) Mit Solene und Roland an unserer Seite kraxeln Elm und ich durch den zirpenden Wald, hinauf zur "White Peace Pagoda" auf der anderen Seite des Phewa-Sees und der Stadt Pokhara. Mit den beiden kommen wir gar nicht mehr aus dem Kichern heraus, immer wieder werden unsere Gespraeche ueber unsere Chinaerlebnisse mit neuen wunderbar akzentuiertenWortwitzen gewuerzt. :) Sehr schoen! Beim schneeweissen Stupatempel angekommen, lernen wir von einem ganz in Weiss gekleideten Mann eine Menge ueber die Lebensgeschichte Siddharta Gautamas, der spaeter der erleuchtete Buddha wurde. Wir bestaunen die goldenen Buddhafiguren am Tempel, der zum Symbol des Friedens nach dem Angriff auf Hiroshima und Nagasaki in Japan als 71. von geplanten 100 Stupas gebaut worden war. Mit unseren zwei franzoesischen Wegbegleitern wandern wir wieder hinab, besichtigen noch eine winzige Hoehle mit einer witzigen milchgebenden Steinkuh (die spinnen, die Hindus...) und ein tibetisches Fluechtlingsdorf. Dort beruehrt mich besonders ein grosses Plakat mit Fotos von Tibetern, die sich aus Prostest gegen die chinesisches Unterdrueckung selbst verbrannten. Schon als wir noch in China waren, haben wir von eben einem solchen Selbstverbrennungsfall in der tibetischen Klosterstadt Tongren gehoert...Echt traurig.

"White Peace Pagoda", Pokhara

Fischermann im See, Pokhara

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Und wieder sind wir in der staubigen Geschaeftigkeit Kathmandus, um endlich unser indisches Visum abzuholen. Wir steigen aus dem Bus, der uns von Pokhara aus wieder in die Haupstadt gebracht hat, und rennen geradezu fast mit zwei anderen Rucksackreisenden zusammen. Felipe und Ana, zwei Brasilianer aus Rio, sind auch gerade erst angekommen und wissen noch nicht, wo sie uebernachten sollen. Also checken wir letzlich zu viert in ein Dreierzimmer ein. Die beiden waren vor Nepal bereit zwei Monate in Indien und konnten uns daher ein paar Dinge ueber das Land, auf das wir uns schon so lang gefreut und vorbereitet hatten, erzaehlen.
Wir gehen wieder auf die Botschaft, ziehen wieder eine Nummer, warten wieder in der Morgensonne, bis wir an der Reihe sind. Zu unserem veraergerten Erstaunen bekommen wir gesagt, dass die Vermittlung unserer Daten zwischen der Indischen Botschaft und den deutschen Behoerden nicht richtig funktioniert hat und daher nur drei statt der beantragten sechs Monate in Indien auf dem Visum ausgestellt werden. Schade, wir waeren zeitlich gerne etwas flexibler gewesen.

Verkehrswirrwarr in Kathmandu

Nach zwei Tagen in Kathmandu reisen wir also weiter, immer weiter in Richtung der nepalisch-indischen Grenze. Das Holi-Farbenfest am 17. Maerz in Indien ruft - das Fest, auf das wir vieles auf dieser Reise zeitlich ausgerichtet haben. Ana und Felipe begleiten uns. Gemeinsam kommen wir in dem kleinen, aber fuer Buddhisten unglaublich bedeutsamen Ort Lumbini an. Hier soll Siddharta Gautama geboren worden sein. Das Dorf ist nicht besonders schoen, aber es gibt ein riesiges Parkareal, mit unzaehligen Kloestern und Tempelanlagen. Wir kommen fuer drei Naechte im Koreanischen Kloster unter, wo wir fuer umgerechnet drei Dollar pro Person schlafen und drei mal am Tag essen koennen. Ein sehr beruhigender Ort - viele Reisende kommen hierher, um zu meditieren und um mehr ueber die buddhistischen Lehren zu erfahren. Wir nehmen mehrmals an der Morgen- und Abendzeremonie im grossen Tempel teil. Eine sehr beruehrende Atmosphaere: ein grosser weitraeumiger Saal, beleuchtet mit unzaehligen kleiner Laternen, die in langen Reihen an der Decke haengen; Menschen, die im Schneidersitz auf Kissen sitzen; ein Moench in dunkelroter Robe, der mit seinem kehligen Gesang und sanftem Getrommle den ganzen Raum erfuellt....

Kunterbunter Gegenverkehr auf der Busfahrt nach Lumbini

Gemuetliches Dorf kurz vor Lumbini

Ankunft der Reisegruppe in heiligen Ort Lumbini (mit Felipe und Ana)

Tempel des Buddhistischen Koreanischen Klosters

Tatsaechlich ist fuer mich Nepal eines der beruhigendsten Laender bisher auf dieser Reise, obwohl wir nur zwei Wochen hier waren. Ich weiss nicht, ob es an der entspannten Mentalitaet der Menschen liegt; der Einfachheit des Lebens ohne den ueblichen Ueberfluss an Werbung und Blinklichtern oder der atemberaubend schoenen Natur, in der man Blicke und Gedanken schweifen lassen kann...Auf jeden Fall ein Land, in das ich gern zurueck komme! :)

Grenzuebergang bei Sunauli, endlich Indien!

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Bald mehr aus dem verrueckt, bunt, chaotischen Indien!
(Wir schwitzen gerade im tropisch heissen Allepey, im Sueden, an den Backwaters....)
Ganz viel Waerme, Sonne und Liebe zu euch,
Eure Emma.




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