Fakten

Wir sind 849 Tage um die Welt gereist (11. Juni 2013 bis 07. Oktober 2015). Unsere letzte Station war Bangkok, Thailand.
Wir reisten 71844 Kilometer durch 26 Länder. Jetzt sind wir wieder in Deutschland und planen unsere naechste Reise.

Donnerstag, 15. Mai 2014

Sinnesreise

Gokarna, 11. Mai 2014:
Wir haben schon eine ziemlich lange Zeit nichts von uns hoeren lassen. Vielleicht liegt es daran, dass Indien so ausfuellend ist, dass fuer nichts anderes mehr Zeit uebrig ist. Oder, dass zu viele Menschen durch Indien reisen, sodass man wenige Momente allein hat um sich auf ein paar ausgewaehlte Zeilen konzentrieren zu koennen. Oder aber, weil sich viele Orte in diesem verrueckten Land so sehr nach Urlaub anfuehlen, dass man einfach mal alles stehen und liegen laesst und sich in die Sonne legt.

Heute vor genau elf Monaten sind wir in Herrnhut losgereist. Seitdem ist nicht nur fuer uns unfassbar viel passiert: Gute Freunde sind umgezogen und haben einen neuen Lebensabschnitt begonnen, sei es ein Studium oder eine neue Arbeitsstelle. Andere sind auf Reisen gegangen, von Reisen zurueckgekehrt oder ins Ausland gegangen, um dort Freiwilligenarbeit zu leisten. Es sind liebe Verwandte und Bekannte gestorben, einige Freunde bekamen Kinder, Bekannte haben geheiratet oder haben seit Neustem einen Freund bzw. eine Freundin.
Wenn wir all diese Veraenderungen mit unseren vergleichen, erkennen wir schnell, dass nicht nur wir einen langen Weg hinter uns haben, dass sich auch in unserer Heimat die Erde weiter um die Sonne dreht und dass die meisten unserer Lieben versuchen, das Beste aus ihrem Leben zu machen.
Diese Reise ist ein Spektakel fuer die Sinne. Nicht selten erlebten wir Reizueberflutungen, positiv wie negativ, manchmal Entsetzen, Aufregung und Fassungslosigkeit. Leider sahen wir auch Vieles, worueber wir resigniert die Koepfe schuetteln mussten.
Eine schoene Erfahrung ist es, dass man sich an den Ortswechsel gewoehnt, dass neue Bekannte schnell zu guten Freunden werden , dass man lernt, auf seine eigenen Gefuehle und Gedanken zu achten – zu hoeren!
Das Interessanteste sind wahrscheinlich die Menschen. Ich geniesse es zwar sehr, neue Orte dieser Welt anzuschauen, bin mir aber dessen bewusst, dass ich auch nur einen kurzen Einblick erlange. Das naechste Mal, sollte es das geben, wird die Erfahrung eine andere sein. Und wie schnell sich ein Ort verwandeln kann, sieht man zum Beispiel daran, was gerade in der Ukraine passiert. – Wir sind dennoch dankbar fuer jedes paradiesische Fleckchen, das uns eine Weile beherbergte, denn oft waren es auch Orte, die eine heilsame Wirkung auf uns hatten.
Jeder Einzelne, den wir auf unserem Weg getroffen haben, hat eine individuelle Geschichte, die, wenn man sich darauf einlaesst, einzigartig, interessant und beruehrend ist.
Andere Reisende liefern so viel neues Wissen, teilen Lebenserfahrungen und Gefuehle und sind sehr gute Lehrer, denn jeder von Ihnen hat bringt eine eigene Geschichte mit. Eine Geschichte ueber ihren Hintergrund, ihr Herkunftsland und dessen Politik, Bildungssystem, Kultur und Sprache. Aber auch, weil es sehr oft Menschen mit Aura sind. Viele sind einzigartige Charkataere, fast schon Persoenlichkeiten. Die Geschichten, die persoenlichen Konflikte, oft zeugen diese Dinge von einem bewegten Herz.
Oft schwirren meine Gedanken noch Tage und Wochen, manchmal Monate durch Gespraeche und Worte, die mir andere Reisende mit auf den Weg gegeben haben. Und mit jedem Gedanken, den wir reflektieren, mit jeder Konversation, die uns Neues lehrt, drehen wir jeden einzelnen Stein, jedes Blatt, jeden Zentimeter im Garten unseres Herzens um, und lernen uns selbst genauer kennen – Werden gereifte Menschen.
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„Everyone is fighting a fight you don’t know anything about.
Be kind. Always.” (picked up from Shabnam)
(Mit dieser Weisheit habe ich immer noch zu kaempfen!)

„Do not believe you influence someone by what you do. You influence them because of what you are.”
(I do not remember who told me that…)

“The real voyage of discovery consists not in seeking new landscapes, but in having new eyes…”
(Picked up in Yerevan, Armenia)

“No matter how much shit is going on around you. Never forget how to smile about it.”
(Michael’s advice before we went to China)

“When I come home, I have to accept that change doesn’t necessarily come home to somebody. People usually go away from their homes to find change.”
(Inspired by Eric)

“A journey does not stop if you come home. Because the time will have changed your home. And it will always be different. So homecoming becomes a journey, too.
(Inspired by Amy and Mariano)

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Und doch sind es nicht allein die Reisenden aus der weiten Welt, denen wir diesen Reifeprozess verdanken: So oft werden und wurden wir liebevoll von der Landesbevoelkerung empfangen, reich mit Gastfreundschaft beschenkt und mit guten Wuenschen bedacht. Wir erfuhren ueberdurchschnittliches Entgegenkommen, konnten oft unser Glueck kaum fassen und erlebten, im wahrsten Sinne des Wortes, die unglaublichsten Geschichten. Und oft war es nur ein willkommenes Laecheln, dass unsere Herzen froehlich werden liess. Von einigen Menschen berichteten wir auf dem Blog. Andere Geschichten wuerden ihren Zauber verlieren, wenn man versuchen wollte, sie in Worte einzusperren. Deshalb koennen wir nur versuchen, diese wahren Schaetze des Reisens mit euch zu teilen.

Wenn wir zusammenfassen: Reisen hat die Kraft, Menschen zu veraendern. Reisen wird die Veraenderung selbst.

Unsere Reiseroute und die Art und Weise des Vorankommens waren praegend. Besonders durch die vielen tausend Kilometer, die wir per Anhalter reisten, erlebten wir tolle Geschichten und trafen wunderbare Lebenskuenstler. Dadurch, dass wir uns vom Gefuehl leiten liessen, blieben wir so lange wir wollten, an einem Ort, reisten weiter, wenn wir uns danach fuehlten und blieben so ganz gut im Reisegefuehl, im Rhythmus der Lebensmusik. Die Lebensmelodien schlugen manchmal ins Moll um, klangen dumpf und kalt und auch das Lebenstempo verlangsamte sich – wie im zweiten Satz einer Sinfonie. Das traurige, klagende Adagio. Aber wie in der Musik, folgt bei einem grossen Werk spaetestens im vierten Teil wieder ein Allegro. Und so war es ein Lernprozess und vielleicht eine der wichtigsten Lektionen dieser Reise, aus Schwierigkeiten gestaerkt heraustreten zu koennen – keine ganz einfache, aber doch eine lohnenswerte Aufgabe.

Oft wird man danach gefragt, wo es am Schoensten wird, und die Antworten variieren: Das interessanteste Land in Europa war sicherlich die Ukraine, die verblueffensten Berge und Waelder Europas hatte Rumaenien zu bieten. Bulgarien gewinnt in der Kategorie „Schoenster Strand am Schwarzen Meer“. Griechenland ist der genialste Platz zum Ausruhen – auch wenn das politische Deutschland diesen Satz ungern lesen wuerde. (Aber was kann man sonst dort machen? Es gibt einfach ueberall Strand, leckeren Kaffee und es ist die meiste Zeit sommerlich. Ich wuerde gerne einmal einen Deutschen sehen, der am griechischen Meer gross geworden ist. Waere er nicht genauso?). Die Tuerkei ist das „muslimischste“ Land, was wir durchreisten, was deshalb interessant ist, weil wir nachher noch durch Iran und Zentralasien sowie Westchina (allesamt muslimische Laender) reisten.  Daher gab es in der Tuerkei viel Anlass, um ueber Religion nachzudenken, war es doch das erste Mal, dass wir das „christliche Europa“ verliessen. Georgien hatte die beste Kueche, atemberaubende Natur und suessen Alkohol. Armenien war ein Land voller spannender Begegnungen, einem farbenfrohen Herbst und voller Freundschaft. Der Iran ist deshalb schoen, weil sich die Perser fuer uns interessierten, ohne uns uebers Ohr hauen zu wollen. Es war eine Erfahrung purer Naechstenliebe: „Ich lade dich zu mir ein, weil ich mich freue, dass du hier bist!“ – Tuerkmenistan ist das unbekannteste Land, was wir bereisten – beherrscht von einem Diktator, der versucht, alle Einfluesse von Aussen zu unterdruecken.  Es ist ein reiches Land, und doch sind die meisten Buerger arm. Sie gehen sieben Tage die Woche arbeiten, zehn bis zwoelf Stunden am Tag. Wer studieren will, muss nicht nur gute Schulnoten haben, sondern benoetigt umgerechnet zehntausend US-Dollar Schwarzgeld, um einen Platz an der Universitaet bekommen zu koennen. – Und doch erlebten wir dort lebensbejahende, weltoffene Menschen, die uns mit glaenzenden Augen die Schaetze ihrer Kultur praesentierten. Usbekistan hat die schoensten architektonischen Bauten entlang der Seidenstrasse und eine interessante Geschichte, Kirgistan ist ein Land voller Gegensaetze: Hohe Berge und viel Schnee im Winter – grasende Yaks und weite gruene Wiesen im Sommer, beides wunderschoen anzuschauen. China war die groesste Herausforderung: Es war Winter, wir waren im woertlichen Sinne sprachlos und durchlebten gravierende Unterschiede zwischen blinkenden Grossstaedten und verlassenen Doerfern ohne Stromnetz. Nepal ist das Dach der Welt, der Fruehling und die abwechslungsreiche Natur, die farbenfrohe Kultur und das gute Essen macht dieses Land unvergesslich.
Und wenn all diese Laender noch nicht genug an uns veraendert haben, dann ist es Indien, die all diese Erfahrungen “wuerzt“, in dem alles, was wir erlebt haben, noch einmal verstaerkt wird.
 – Ich weiss, es ist eine sehr komplexe Antwort auf die Frage, wo es am Schoensten ist. Aber elf Monate sind einfach komplex.

Und wenn ich vorher sagte, „Reisen hat die Kraft, Menschen zu veraendern“, dann trifft das in den meisten Faellen zu, vielleicht sogar in allen. Aber ich koennte auch schreiben, „Indien hat die Kraft, Menschen zu veraendern.“ – Warum ist vielleicht sogar unwichtig. Aber wenn jemand doch fragt warum, dann vielleicht, weil selbst jeder Hobby-Koch weiss, dass Gewuerze entscheidend sind fuer jede Mahlzeit.

Jetzt bin ich dort angelangt, wo ich eigentlich beginnen wollte. Incredible India

Now, who is different?
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Wer weiterlesen moechte, der findet die Fortsetzung auf dem naechsten Post:
Das Land der unbegrenzten Unmoeglichkeiten.


Euer Elmi

1 Kommentar:

  1. Ursula Konitzki18. Mai 2014 um 16:26

    Die Art, wie Ihr Eure Reiseeindrücke verarbeitet und darüber berichtet, fasziniert mich immer wieder total! Ihr seid noch so jung, und habt doch bereits einen unglaublich großen Erfahrungsschatz und eine Weisheit erlangt, die beeindruckend sind. Für Euch und Euer vor Euch liegendes - hoffentlich langes - Leben hat diese Weltbereisung einen Wert, der unvergleichlich ist und den Ihr wahrscheinlich noch gar nicht so recht abschätzen könnt. Ihr werdet daran weiter wachsen, auch wenn alles Erlebte der Vergangenheit angehört. Ich wünsche Euch, dass auch Eure nächsten Etappen eine Fülle an spannenden Erfahrungen für Euch bereithalten und Ihr immer gut behütet Eure Ziele erreicht. Ich danke Euch und freue mich schon auf die kommenden Berichte. Liebe Grüße, Ursula

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