Fakten

Wir sind 849 Tage um die Welt gereist (11. Juni 2013 bis 07. Oktober 2015). Unsere letzte Station war Bangkok, Thailand.
Wir reisten 71844 Kilometer durch 26 Länder. Jetzt sind wir wieder in Deutschland und planen unsere naechste Reise.

Montag, 30. Juni 2014

Auswanderung aus Indien

Gewirr und Gedraenge. Ich werde geschubst, mit jedem Schritt nimmt mein Koerper zwangslaeufig Kontakt mit anderen Vorbeidraenglern auf, eine alte Frau haelt sich an mir fest, um vorrueber zu wackeln. Es ist heiss und laut im Essensbereich des Goldenen Tempels von Amritsar. Elmi liegt schlafend und krank in unserem stickigen dunklen Zimmer, wo wir ungewollt schon fast eine Woche hausen. Ich gehe daher allein in der Menge unter und mit der Menge essen. Die Zeit im Goldenen Tempel spiegelt sehr gut die letzten drei Monate in Indien wider: Eine Atmosphaere aus unglaublicher Faszination und schillernder Wunderwelt wird gepaart mit dem Gefuehl des Übermaßes. Es ist spannend und schoen, aber zugleich wird einem schnell alles zu viel. Besonders jetzt, da Krankheit, unermuedliche Hitze ueber 40 Grad und ein immer knapper werdender Zeitplan, unsere Nerven und Koerper zusaetzlich strapazieren.

Einatmen. Ausatmen. Frische Luft und angenehme Bergsommertemperaturen. Wir sind der Hitze entflohen und in den Bergen im Nordwesten des Landes angekommen. McLeod Ganj, ein kleines, aber geschaeftiges Bergstaedtchen, ausserhalb von Dharamsala, bietet uns einen herrlichen Blick auf die weissen Gipfel des Himalayas und ist noch einmal ein Ort zum Durchatmen und Kraeftesammeln.
Seit nun schon ueber 40 Jahren lebt der Dalai Lama, das spirituelle Oberhaupt Tibets, hier im Exil, der mit vielen anderen Tibetern als politischer Fluechtling nach Indien kam. Daher ist das Flair dieser beschaulichen Stadt gepraegt von einer recht interessanten Mischung aus indisch-hinduistischer, aber hauptsaechlich tibetisch-buddhistischer Kultur. Nicht ganz so aufgeregt, etwas mehr entspannt laechelnde Gesichter. Wir wohnen in einem kleinen Guesthousezimmerchen mit geteiltem Bad und koennen endlich mal wieder gut und ohne stickige Ventilatorluft ausschlafen.


Weg zum Triund-Pass

Anselm geht es daher auch schnell wieder besser und wir brechen auf in die Berge. Lassen das meiste unserer Sachen in unserem Zimmer zurueck und packen nur das Noetigste ein: Zelt, Schlafsaecke, Isomatten, Kocher und Topf, ein paar warme Klamotten und ein bisschen Essen. Es zieht uns hinaus in die Natur, wir sehnen uns so danach, mal eine Pause von den indischen Menschenmassen  zu nehmen und wieder etwas „wilder“ zu werden.

Schlafplatz auf der Klippe

Meine Beine zittern. Mein Koerper ist es wohl einfach nicht mehr gewohnt, so beansprucht zu werden. Es geht bergauf; holprige Steinwege und schmale Pfade schlaengeln uns immer hoeher. Abends schlagen wir auf einem Felsen mit Blick ins Tal unser Nachtlager auf. Es riecht nach Natur, nach Baeumen und frischer Luft. Das Zeltaufbauen funktioniert wie von alleine – wir kennen die Handgriffe, obwohl es schon eine ganze Weile her ist, seitdem wir das letzte Mal gecampt haben. Entweder es war knackig kalter Winter oder schwitzig heisse Vormonsunzeit. Es gibt genug Holz zum Kochen. Die Nudeln mit Gemuese schmecken wie ein Festmahl nach diesem ersten Wandertag. Als wir uns im Zelt aneinander kuscheln, zirpen die Grillen uns ein Gutenachtlied unterm Sternenhimmel…

Durchgeschwitzt, aber gluecklich, stehen wir vor einer Kulisse, die uns wegen ihrer Schoenheit blinzeln laesst. Ein kuehler Wind weht mir durch die Haare und ich bin fasziniert vom Schneeweiss der Gipfel vor uns. Zwischen kleinen Felsbrocken machen wir eine Kochpause auf der Wiese in der Hoehensonne auf 2800 Metern. Der Blick ist so weit und frei, wie wir ihn lange nicht mehr geniessen konnten, nur ab und zu wehen die Wortfetzen vorbeiziehender Wanderer in unsere Ohren. Danach machen wir uns an den Abstieg ins Tal.


Triund (2825m) mit bewoelktem Blick auf den westlichen Himalaya

Der Weg nach unten fuehrt auf dem Bergkamm an verlassenen Steinhaeusern vorbei.

Was fuer eine Erfrischung! Das klare Wasser aus dem Bergbach brettert auf meine verbrannten Schultern und waescht mir den Schweiss vom Koerper. Es ist so kalt, dass mein Herz huepft, doch das alles erfuellt mich mit so viel Lebendigkeit, dass es eine wahre Freude ist! Nach einer Stunde am Fluss geht es noch ein letztes Stueck wieder bergauf in die Stadt.

Ein Fest.

Rishikesh. Die heilige Stadt am Ufer des Ganges. Nach einer wackeligen und fuer mich schlafarmen Nachtbusfahrt kommen wir in den fruehen Morgenstunden an. Die tibetische Gelassenheit scheint schon wieder weit weit weg zu sein, sofort werden wir wieder von einer Schar  nerviger Rikshafahrer umschwirrt und muessen um die richtigen Preise verhandeln. Es gaebe keine Sammelrikshas, der Weg zu unserem gewuenschten Stadtteil gehe nur bergauf, daher diese horenden Preise…achja, nach einem Vierteljahr in Indien sind wir es echt Leid.

Muede kommen wir schliesslich im Hostel an. Rishkikesh scheint wieder sehr geschaeftig und sehr „indisch“ zu sein: staubige Luft; Maenner, die am Strassenrand Gemuese von Holzkarren verkaufen; wie verrueckt hupende und die Verkehrsregeln gekonnt missachtende Auto- und Motorradfahrer; kleine Essstuben fuer die „Locals“ mit Thali und anderen indischen Koestlichkeiten; und viele viele Pilger, die hierher kommen, um einmal im Ganges zu baden.

Hindus im Holy Ganga.

Der Weg zu unserem Hostel direkt am Flussufer fuehrt ueber eine lange, schmale und wabernde Stahlbruecke. In den Tagen in den Bergen sind wir zwar wieder etwas ruhiger geworden, aber schon allein diese hundert Meter von der einen Flussseite zur anderen, verlangen wieder eine Menge Geduld und innere Ausgeglichenheit von uns ab. In beide Richtungen schieben sich Menschenmassen vorwaerts, hier und da bildet sich Stau, weil wieder jemand Bilder von sich und dem Holy Ganga machen muss. Es ist ungeheuer anstrengend, sich in der Hitze und zwischen all den Indern in diesem lahmen Tempo voran zu draengeln, dabei auf seine Sachen acht zu geben und entgegen kommenden Ellebogen und von links nach rechts wankenden alten Frauen auszuweichen. Haben wir dann einmal ein paar Meter freien Lauf, kommt ausgerechnet in diesem Moment noch ein wild hupendes Motorrad entgegen und will sich ohne Ruecksicht durch das ganze Gewuehle hindurch mogeln… „You are young, you should walk!“ ruft Elmi genervt und mehr als einmal den verstaendnislos guckenden Fahrern hinterher.

Elmi unter Indern.

So heilig diese Stadt auch sein mag, fuer uns ist sie einfach nervenaufreibend, laut, heiss und ueberfuellt. Nach zwei Tagen machen wir uns endlich auf den Weg Richtung indisch-nepalische Grenze.

Es ergibt einfach keinen Sinn, in Indien Plaene zu machen! Unser letzter Tag praesentiert uns noch einmal das volle Programm, ganz so, als wolle uns das Land mit grossem Tamtam und ganz traditionell verabschieden. Magenschmerzenerwachen; eine letzte Ueberquerung der Menschenmassenbruecke ueber dem schlammbraunen heiligen Fluss; Thali-Fruehstueck im Localrestaurant; morgendliche Hitze und mal wieder ein Nervenkampf mit den Rikshafahrern, die uns zum Bahnhof im nahen Haridwar bringen sollen. „No shared riksha, Sir! You can not go to Haridwar, today festival, the road is blocked…” Wir verlieren schon jetzt fast die Nerven, da wir diese Geschichte von der Strassenblockade immer wieder zu Ohren bekommen. Die denken sich auch immer neue Sachen aus! Anscheinend muss man tatsaechich an jedem Tag mit einer hinduistischen Festivitaet rechnen. Wir quetschen uns mit fuenf jungen Maennern aus Delhi in eine Riksha zum Busbahnhof; es gebe zwar keine Rikshas, wohl aber einen Bus in unseren Zielort…Wir waren wohl doch etwas zu naiv zu glauben, dass wir den Zug, den wir uns rausgesucht haben, auch tatsaechlich erwischen koennten. Es gibt natuerlich keinen Bus nach Haridwar. Also fahren wir schliesslich zum Bahnhof in Rishikesh, um einen Zug nach Haridwar zu nehmen. Dessen Ankunftszeit uns unseren eigentlichen Anschlusszug verpassen lassen wird...Es ist bereits frueher Nachmittag und wir sind noch nicht weit gekommen.

Etwas Schatten. Bei mehr als vierzig Grad wartende Inder am Bahnhof von Rishikesh

Es ist laut und mir rinnt der Schweiss ueber den Ruecken. Vor dem einzigen kleinen Ticketschalter (die anderen sind teepausenbedingt nicht besetzt) draengen sich Unmengen von Leuten. Etwa dreissig Zentimeter zu meiner Rechten stehen Maenner – viele viele Maenner, mit Oberlippenbaerten, Turbanen oder Lappen auf dem Kopf, mit denen sie ihren tropfenden Schweiss abtupfen, geoelten zurueck gekaemmten Haaren, Rupiennoten fuer ihre Tickets in der Hand. Dicht an dicht bilden sie Reihe eins. Ruecken an Bauch. Die Hand auf der Schulter des Vordermanns. Ich stehe in Reihe zwei – der Frauenreihe, die sich einem nicht erkennbaren Prinzip folgend immer mal wieder zwischen Reihe eins schiebt. Schnell bin ich eingeklemmt und werde gemaechlich nach vorne gedrueckt. Kurz bevor ich nach etwa einer halben Stunde und circa drei Metern Vorwaertswandern den Schalter erreiche, taucht ein goldberingter Arm vor meiner Nase auf, der zu einer dicken Frau gehoert, die sich mit einem Hundert-Ruppee-Schein in der Hand in den nicht vorhandenen Spalt zwischen mir und meiner Vorderfrau quetschen will. Ich gebe nicht nach, das Prinzip „aeltere Menschen haben Vorrecht“ gibt es in Indien nicht und doch muss ich mit meiner europaeischen Ruecksicht am Ende beobachten, wie sich der dicke Arm der Frau vor dem meinem in das Ticketfenster lehnt. Ich tauche ab und kaempfe mich unter den Armen und Oberkoerpern der beturbanten Maenner nebenan hindurch und kann mich endlich wieder frei bewegen mit den Tickets nach Haridwar in der Hand!

So ueberfuellt wie der Bahnhof, ist dann auch der Zug. Zum Glueck ergattern  wir zwei Plaetze auf der Gepaeckablage und koennen so das voellig irre Gewirre und Gemache von oben her beobachten. Alles gackert und plaerrt, der Zug hupt ohrenbetaeubend, Taschen, Kinder und Erwachsene werden rumgereicht, auf Sitzplaetze gequetscht und uebereinander gestapelt. Und wieder einmal fragen wir uns, ob es ein systematisches Chaos ist, dessen Teil wir werden oder ob es sich eher um ein chaotisches System handelt…Am Busbahnhof in Haridwar dann hoert der Menachenauflauf noch lange nicht auf, allerdings finden wir schnell einen Bus, der uns ueber Nacht an die Grenze nach Banbasa bringen soll…Wenigstens das scheint zu funktionieren und ich bin doch durchaus wieder mal erstaunt, wie sich aus all dem undurchsichtigen Wirrwarr ein Weg heraus windet, der uns letztendlich an unser Ziel bringt. Ach Indien…!

Bitte einsteigen! - Aehnlich wie im Zug geht es auch am Busbahnhof in Haridwar zu... Noch als der Bus einfaehrt, stuermen schon die Massen hinein, um einen Platz zu ergattern.

Es ist vier Uhr frueh, wir sind uebermuedet, es ist noch dunkel und wir stehen mit staubiger Haut und recht verleiert auf der naechtlichen Dorfstrasse von Banbasa, dem letzten Ort vor der indisch-nepalischen Grenze. Naechtlich…nagut, wie man’s nimmt. In der Teestube links von uns wird das Feuer fuer den Ofen geschuert, Pferdewagen und Fahrradrikshas stehen bereit und warten auf Kundschaft, Leute sitzen herum und gucken, klapprige Busse laden ihre Insassen  ab und all das wird noch untermalt vom lauten, plaerrenden Traellergesang aus den uebersteuernden Boxen des Hindutempels auf der anderen Strassenseite. Bei einer Tasse Masala-Chai stellen wir uns schon amuesiert vor, wie wir mit „Devi Devi“-Klaengen im Ohr auf einer Pferdekutsche aus diesem verrueckten Land ausreiten…

Diese gesamte Odyssee der letzten vierundzwanzig Stunden und die uns nun umgebende abstruse Kulisse bewirken, dass wir ueber all das wieder schmunzeln koennen, was uns so manches Mal aus der Fassung gebracht hat und dass wir nun im Frieden Indien verlassen koennen.

Aber tja – wieder einmal sind die Preise zur Grenze lachhaft hoch, daher beschliessen wir, keine koenigliche Kutschfahrt zu unternehmen, sondern die knapp zehn Kilometer nach Nepal zu laufen. Noch ist es frueher Morgen und doch ahnen wir schon die Hitze des anbrechenden Tages.

Goodbye India! Namaste Nepal! - Vollbepackte Kutschen ueberholen uns auf dem Weg zur Grenze.

Nachdem wir bei der Indian Immigration mit den netten Grenzbeamten ein Schwaetzchen ueber Fussball gehalten und sie mit unseren abgestempelten Paessen fuer ein Foto posiert haben, kommen wir bald auf der nepalischen Grenzseite an. In einem garagenartigen Zimmerchen bezahlen wir unser Visum, erhalten zum zweiten Mal auf dieser Reise den Einreistempel und bekommen sogar noch eine Karte von Nepal geschenkt, da wir nicht so richtig wissen, durch welche Orte uns unser Weg Richtung Osten nach Kathmandu fuehrt. Nach einem Keks-Bananen-Fruehstueck unter einem grossen schattigen Baum, stehen wir bald und endlich wieder an der Strasse, mit dem Trampschild in der Hand. Vielleicht ist es nur so ein Gefuehl, aber tatsaechlich scheint Nepal gleich viel ruhiger und entspannter zu sein, als das Indien, das wir soeben verlassen haben. Schnell sind wir von einer Schar neugieriger Kinder umzingelt und ein lachender alter Mann bietet uns amuesiert an, wir koennten doch eine seiner Ziegen in unseren Rucksaecken mit auf die Reise nehmen. Bis zum naechst groesseren Staedtchen fahren wir dann doch mit dem Bus, da ausser Taxis und Fahrraedern nicht viel Verkehr ist.

Dann starten wir endlich wieder in einen neuen Tramptag, dem ersten in diesem wundervollen Land, das uns sofort wieder ruhigere Nerven schenkt und entspannt laecheln laesst.

Indien war fuer uns ein spannendes Reiseland, das uns eine Menge lehrte, uns oft an unsere Geduldsgrenzen brachte, uns zeigte, wie manchmal alles und nichts zugleich moeglich zu sein scheint und dass man immer mit allem rechnen muss. Mit vielen Geschichten im Gepaeck faengt nun aber ein neuer Reisemonat in Nepal an. Etwas langsamer, ruhiger, nicht so ueberfuellt, in etwas grueneren Farben und ruhigeren Toenen.


Bis bald und alles Liebe,
emma.

1 Kommentar:

  1. Liebe Emma, lieber Elmi,

    euren Reisebericht zu lesen ist sehr interessant und man wird regelrecht mit hinein genommen, in die fremde Welt, die ihr gerade bereist. Habt ganz herzlichen Dank, dass ihr uns so sehr daran teilnehmen lasst. Es tut mir gut! Seid ganz herzlich gegrüßt aus der Landeshauptstadt und bleibt behütet! Eure Astrid

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